Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Reverter

treuer Diener der Almoraviden.

Bei all dem romantischen und ideologischen Kitsch mit dem die Kämpfe zwischen Moslems und Christen zur Zeit der Kreuzzüge gerne verklärt werden, wird meistens übersehen, dass die Fronten nicht immer so eindeutig waren. Bündnisse zwischen christlichen und islamischen Herrschern gegen Konkurrenten, die der eigenen Religion angehörten, waren absolut nichts Ungewöhnliches. Unter diesen Umständen überrascht es eigentlich nicht, dass die Angehörigen der anderen Religion manchmal gerne als Söldner verwendet wurden.

christliche Söldner Gerade bei internen Auseinandersetzungen war auf die Fremden oft mehr Verlass als auf die Landsleute und Glaubensbrüder. So stützten sich die Staufer ganz besonders auf die sarazenischen Bogenschützen aus Lucera oder die mächtigen Araber-Emire von Cordoba auf ihre slawischen Leibgarden. Ein besonders interessantes Beispiel dieser Garden ist die christliche Miliz, die zur wichtigsten Stütze der Almoraviden wurden.

Die Almoraviden waren eine Berberdynastie, die im 11. Jahrhundert ganz Nordwestafrika und große Teile Spaniens erobert hatten. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht begann Emir Ali ibn Yusuf (1106-1143) mit der Aufstellung einer Miliz aus Christen, wozu anfangs hauptsächlich Kriegsgefangene und Sklaven verwendet wurden, von denen die Almoraviden einige Zehntausend nach Afrika verschleppt hatten. Diese Methode hatte Tradition, denn die Almoraviden verwendeten seit längerem Elitetruppen aus schwarzen Sklaven, die sie südlich der Sahara gefangen genommen hatten. Die Christen sollten auch nicht in Spanien eingesetzt werden, sondern in Marokko selbst bei Rebellionen und vor allem als Steuereintreiber. Man erwartete von den Fremden hier bessere Resultate als von Einheimischen.

Zu den Kriegsgefangenen und Sklaven kamen jedoch bald andere. Der Reichtum der Almoraviden war legendär und die von ihnen geprägten Golddinare waren im gesamten Abendland begehrt. Es dauerte deshalb nicht lange, bis sich Abenteurer von der anderen Seite des Mittelmeers auf den Weg machten um im fernen Marrakesch ihr Glück zu suchen. Meistens werden es kleinere Gruppen gewesen sein, verarmte Adlige mit kleinem Gefolge oder Flüchtlinge vor dem Gesetz.

Ein gutes Beispiel dafür ist der katalanische Adlige Reverter de la Guardia. Er war der Sohn des Vizegrafen von Barcelona und kam damit aus einer der besten Familien des Landes. Aber die Familie hatte viel Besitz und Macht an die Grafen von Barcelona verloren, so dass es durchaus Sinn machte, sich nach neuen Einkommensquellen umzusehen. Leider weiß man nicht viel von Reverter. Noch nicht einmal sein richtiger Name ist bekannt; denn "Reverter" bedeutet der "Zurückgekehrte". Wahrscheinlich wurde er um 1090 geboren und hatte später mindestens zwei Söhne. Nach einer später verfassten kastilischen Chronik geriet er Mitte der 1120er Jahre in Gefangenschaft als eine große Flotte der Almoraviden die katalanische Küste plünderte. Manchmal wird auch vermutet, dass er bei den Kämpfen am Ebro gefangen genommen wurde.

Neuere Forschungen halten es jedoch für wahrscheinlicher, dass er aus freien Stücken nach Marokko gegangen ist, um dort den Almoraviden seine Dienste anzubieten. Dass so eine Handlung später mit einer vorgeblichen Gefangenschaft erklärt und gerechtfertigt wurde, ist nur allzu verständlich. Allerdings musste Reverter nicht befürchten in Spanien gegen Christen zu kämpfen, denn inzwischen waren die Almoraviden im Atlasgebirge in einen aufreibenden Kleinkrieg gegen die Almohaden verwickelt, in dem christlichen Söldner ihre verlässlichsten Truppen sein sollten.

Bei den Almohaden handelte es sich um eine religiöse Reformbewegung, die ihre Anhänger vorwiegend unter den Berbern des hohen Atlas fand. An der Spitze stand der Prediger und Mahdi (der Rechtgeleitete) Ibn Tumart, der gegen die Dekadenz und Sittenlosigkeit der herrschenden Almoraviden hetzte. Angeblich fragte er die Männer des Ortes Tinmel, warum denn viele ihre Kinder ganz anders als sie selbst helle Haut und blaue Augen hätten. Als sie nicht antworteten, wies er sie darauf hin, dass dies deshalb so sei, weil die fränkischen Steuereintreiber des Emirs sich an ihren Frauen und Töchtern vergriffen. Schließlich brachte er die Männer so weit, dass sie in einer Nacht alle Steuereintreiber ermordeten und sich gegen die Herrschaft der Almoraviden erhoben.

Pass im Atlas Als die Almoraviden daraufhin ein starkes Aufgebot nach Tinmel schickten, geriet dies auf einer der engen Passstraßen in einen Hinterhalt. Die leicht bewaffneten und schnellen Fußkämpfer waren hier der Kavallerie der Almoraviden weit überlegen, die sich schließlich unter schweren Verlusten zurückziehen mussten.

Ibn Tumart machte Tinmel daraufhin zu seinem Hauptsitz und begann von hier aus mit der langsamen Eroberung des Atlas. Es war ein dreckiger Kleinkrieg über mehrere Jahre, bei dem beide Parteien versuchten einzelne Dörfer oder ganze Stämme durch Bestechung, Repressalien und grausame Vergeltungsmaßnahmen zur Loyalität oder zum Frontwechsel zu bewegen. Das Kriegsgeschehen wurde von Überfällen, Hinterhalten und Verrat geprägt. Die Almoraviden waren sicher lange Zeit die Stärkeren, doch in dem unwegsamen Gelände gewannen die ortskundigen Almohaden langsam an Boden. Da inzwischen viele Stämme mit den Almohaden sympathisierten oder heimlich mit ihnen verhandelten, gewannen die christlichen Söldner für Emir Ali ibn Yusuf immer mehr an Bedeutung und er überhäufte sie mit Privilegien und Geschenken. "Er gab ihnen Gold und Silber, Städte und stark befestigte Burgen, damit sie Krieg gegen die Almohaden und ihren König führen könnten, die seine Länder ohne Unterbrechung angriffen," berichtet eine kastilische Chronik.

Trotzdem ging der Atlas nach und nach verloren. Lediglich die flache Ebene, die Marrakesch vom Gebirge trennte und den Einsatz von Kavallerie begünstigte, hielt die Almohaden von einem Angriff auf die Hauptstadt ab. Gegen die drohende Gefahr hatte Ali ibn Yusuf bereits 1122 eine beeindruckende Stadtmauer errichten lassen. Als jedoch 1130 im Atlas ein Heer der Almoraviden eine schwere Niederlage erlitt, verfolgten die Almohaden die geschlagenen Reste bis nach Marrakesch und begannen siegessicher mit der Belagerung.

Sie dauerte 40 Tage und dann traf endlich der Entsatz aus dem Norden ein. Bei al-Buhayra vor Marrakesch trafen beide Heere aufeinander. Ali ibn Yusuf leitete selbst den Kavallerieangriff auf die Almohaden, und man kann sicher davon ausgehen, dass die schwer gepanzerten Reiter seiner christlichen Söldner dabei eine entscheidende Rolle spielten. Dem hatten die Almohaden nichts entgegen zu setzen. Ihre Verluste betrugen Tausende, viele ihrer Anführer wurden getötet, und der Mahdi erlag einige Monate später seinen Verletzungen oder den Strapazen der Flucht.

Muslims Schlacht

Damit war die unmittelbare Gefahr zwar abgewehrt, an der Gesamtlage änderte sich allerdings wenig. Trotz ihres großen Siegen waren die Almoraviden nicht in der Lage die Kontrolle über den Atlas zurückzugewinnen. Bei den Almohaden wurde der Tod des Mahdi mehrere Jahre geheim gehalten, konkret übernahm aber dessen fähigster General Abd al-Mu'min das Kommando. Dieser vermied neue Vorstöße ins Tiefland und versuchte statt dessen den Machtbereich der Almohaden im Atlasgebirge nach Nordosten auszudehnen und die dortigen Stämme unter seine Kontrolle zu bringen.

Man weiß leider nicht mit Sicherheit ob Reverter zur Zeit der Schlacht bei al-Buhayra bereits in Marokko war. Sein Hauptbiograph Ruiz-Domènec geht davon aus, dass er bereits bei den Kämpfen im Atlas und um Tinmel eine führende Position innehatte. Sicher ist jedenfalls, dass er 1133 wieder nach Barcelona kam, wo man ihn nun "Reverter", den "Zurückgekehrten" nannte.

Es gab viel für ihn zu tun, denn sein Vater war bereits 1126 gestorben, und es war deshalb dringend notwendig, sich um den verstreuten Familienbesitz zu kümmern. Allerdings hatte Reverter kein persönliches Interesse daran. Er überschrieb alles seinem Neffen Guillem und machte sich mit seinem Sohn Berenguer wieder auf den Weg nach Marokko.

Dass Reverter seinen gesamten Besitz, einschließlich der Stammburg Guardia de Montserrat, von der heute noch ein paar Grundmauern zu sehen sind, seinem Neffen übergab und statt dessen seinen Sohn mit nach Afrika nahm, zeigt deutlich, dass ihn dort an Reichtümern, Macht und Einfluss viel mehr erwartete. Er musste also bereits eine bedeutende Stellung am Hof des Emirs bekleidet haben. Es ist deshalb gut möglich, dass er seine Reise nach Barcelona auch dazu benutzte, um neue Söldner für den Krieg in Afrika zu rekrutieren. Er selbst war ja ein wunderbares Beispiel dafür, dass man dort sein Glück machen konnte. Wahrscheinlich begleiteten ihn nun außer seinem Sohn einige überzählige Söhne des katalanischen Adels, Glücksritter und Abenteurer um in den Dienst des Emirs zu treten.

Stadttor von Fez Zurück in Marrakesch wurde Reverter zu einem der wichtigsten Heerführer und Ratgeber des Emirs. Die kastilische Chronik schreibt: "Der König gab ihm das Kommando über alle gefangenen christlichen Ritter und die Barbaren, da er der Befehlshaber in allen seinen Kriegen sein sollte, weil er noch nie in einer Schlacht besiegt worden war. Alle Kriege von König Ali wurden von ihm oder durch seinen Rat geführt."

Obwohl der christliche Chronist verständlicherweise wieder einmal den Gefangenenstatus der Söldner betont, dürfte die Realität eine andere gewesen sein. Die Stärke der Miliz wird für diese Zeit auf 4.000 Mann geschätzt, wodurch sie neben den Angehörigen seines eigenen Stammes die wichtigste Stütze von Ali ibn Yusuf war. Kriegsgefangene hatten sicher anfangs die Basis gebildet, doch inzwischen erfreuten sich die ehemaligen Sklaven zahlreicher Freiheiten und Privilegien. Dazu kamen neue Freiwillige aus Europa. Mit der Zeit sollte sich der gesamte Maghreb zu einem beliebten Exil für südeuropäische Adlige entwickeln, die in ihrer Heimat in Schwierigkeiten geraten waren.

Reverter oder "al-Ruburtayr", wie er in den arabischen Chroniken genannt wird, war "Qa'id al-Rüm" (Kaid der Römer, d.h. der Hauptmann der Christen). Zusammen mit Tashfin ibn Ali, dem Sohn des Emirs führte er den gnadenlosen Krieg gegen die Almohaden. Manchmal wurde um befestigte Plätze gekämpft, vor allen Dingen ging es jedoch um Schnelligkeit. Man musste dem Gegner den Weg abschneiden, bedrohten Stämmen zu Hilfe eilen, andere durch Präsenz vom Überlaufen abhalten. Das waren über die Jahre tausende von Kilometern im Sattel, Staub und glühende Sonne. Die Verluste durch Durst und Hitzschlag waren sicher höher als die im Gefecht.

Die Almohaden hatten ihre Lektion gelernt und vermieden die weiten Ebenen von Nordwestmarokko. Stattdessen dehnten sie ihren Machtbereich zuerst im Hohen Atlas aus und drangen dann in den Mittleren Atlas Richtung Fez und von dort weiter nach Osten vor. Die Kämpfe verlagerten sich damit immer weiter in diese Region. Anfang 1143 starb Ali ibn Yusuf. Sein Sohn Tashfin und Nachfolger verlegte seinen Regierungssitz nach Tlemcen um hier den Einfluss der Almohaden zurückzudrängen.

Von Tlemcen aus unternahm Reverter 1144 eine Strafexpedition gegen ein paar Stämme Zenata-Berber. Bereits auf dem Rückweg und schwer mit Beute beladen wurde seine Truppe von einer starken Streitmacht der Almohaden angegriffen und völlig aufgerieben. Angeblich sollen nur sechs seiner Männer lebend entkommen sein, darunter drei christliche Söldner. Nach dem Bericht des arabischen Chronisten Ibn Khaldun kreuzigten die Almohaden anschließend den Leichnam ihres gefürchteten Gegners.

Berber Krieger Reverters ältester Sohn Berenguer ben Reverter scheint kurz darauf nach Barcelona zurückgekehrt zu sein, wo er wieder als Erbe seines Vaters eingesetzt wurde. Da er in Marokko erzogen worden war, beherrschte er die Lateinische Schrift nicht und unterzeichnete seine Dokumente in Arabisch. Sein jüngerer Bruder Abul Hassan Alí ibn al-Ruburtayr - sein christlicher Name ist nicht überliefert - blieb in Marokko, wo er von Emir Tashfin als Nachfolger seines Vaters zum Befehlshaber der christlichen Miliz ernannt wurde.

Trotzdem war der Norden nicht zu halten. Tashfin verunglückte tödlich im kommenden Jahr. Fez fiel nach langer Belagerung, andere Städte durch Verrat. 1147 wurde Marrakesch im Sturm genommen und die Herrschaft der Almoraviden in Marokko beendet.

Da die Almohaden den Islam viel radikaler auslegten, wurden die Kirchen in Marrakesch zerstört und die Christen vor die Wahl gestellt, entweder nach Spanien zurückzukehren oder zum Islam zu konvertieren. Einige Historiker nehmen an, dass die christlichen Söldner den Almohaden ein Stadttor geöffnet hatten und ihnen der freie Abzug sozusagen als Lohn für ihren Verrat gewährt wurde.

Alí ibn al-Ruburtayr hatte damit sicher nichts zu tun. In Marokko aufgewachsen, eventuell sogar dort geboren, waren ihm Spanien und seine Kultur fremd. Er zog es deshalb vor, seinen Glauben zu wechseln und in den Dienst der Almohaden zu treten. Er machte dort Karriere und diente ihnen wie sein Vater zuvor den Almoraviden treu bis zum bitteren Ende. Er fiel 1187 in einer Schlacht im Gebiet des heutigen Tunesien.

Die Verwendung christlicher Söldner in den Maghrebstaaten war damit jedoch noch lange nicht vorbei. Sie stand eher am Anfang. Selbst die Almohaden lernten bald den Wert von Fremden bei internen Kriegen zu schätzen; Anfang des 13. Jahrhunderts sollen sie 12.000 christliche Söldner im Dienst gehabt haben.



Literatur:

Bennison, Amira K.
Almoravid and Almohad Empires
2016

Burns, Robert I.
Renegades, adventurers and sharp businessmen: the thirteenth-century Spaniard In the cause of Islam
In: Catholic historical review LVII (1972); S.341-66

Clement, F.
Reverter et sons fils deux officiers Catalans au service des Sultans de Marrakech
in: Medieval Encounters v.9 n.1 (2003) S.76-106

Dufourcq, Charles-Emanuel
L'Espagne catalane et le Maghrib aux XIIIe et XIVe siècles
Paris 1966

Messier, Ronald A.
The Almoravids and the Meanings of Jihad -Praeger
2010

Ruiz Domenèc, José
Las cartas de Reverter, vizconde de Barcelona
in: Boletín de la Real Academia de Buenas Letras de Barcelona vol. 39 (1983/84); S.93-118

Ruiz Domenèc, José
Atardeceres rojos: Cuatro vidas entre el islam y la christianidad
Barcelona: Editorial Ariel, 2007


© Frank Westenfelder  


 
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